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Leseprobe

Prolog - London, Februar 1110

Ein eisiger Februarwind pfiff um die Mauern des Towers von London. Selbst die Raben hatten ihr Gefieder aufgeplustert und scheuten sich davor, aufzufliegen. Sie harrten der Dinge, die da kamen, und schickten nur von Zeit zu Zeit ein heiseres Krächzen über den Platz zwischen dem großen normannischen Donjon und der Außenmauer.

Auf der Richtstätte des Tower Hills rückte der Scharfrichter seinen Block zurecht und prüfte die Schneide seiner Axt. Auch wenn heute kein Gefangener vom Leben zum Tode befördert werden sollte, so musste doch alles stimmen, denn der König selbst hatte sich angesagt. Schließ-lich sollte einem seiner Leibwächter die Hand abgehackt werden, die dieser gegen einen Vorgesetzten erhoben hatte.

Trommelwirbel erklang, als Henry I., seine kleine Tochter Matilda an der Hand, aus dem Tor der großen Halle des White Tower trat und die hölzerne Treppe aus der ersten Etage zum Innenhof hinabschritt. Vor kurzem waren die Gesandten des deutschen Königs eingetroffen. Die junge Prinzessin war schon vor Jahren Heinrich V. zur Gemahlin ver-sprochen worden, um das Bündnis zwischen dem anglo-normannischen und dem deutschen Reich zu festigen. Jetzt war der Zeitpunkt gekom-men, wo sie, obwohl erst achtjährig, ihrem zukünftigen Gatten zugeführt werden sollte. Ihre weitere Erziehung würde der Erzbischof von Trier übernehmen und sie in den Sitten und Gebräuchen des Landes unterrichten, über das sie einmal an der Seite ihres Gemahls als Kaiserin herrschen sollte. 

Seitdem ließ Henry seine Tochter nicht mehr von seiner Seite weichen. Er wollte die letzten gemeinsamen Stunden mit ihr verbringen, damit sie sich für immer in sein Gedächtnis einbrannten. Wer wusste schon, ob sie sich jemals im Leben wiedersahen? Außerdem konnte es nicht schaden, wenn sie auch einmal mit den unangenehmen Dingen konfrontiert wurde, denen sich ein Monarch zu stellen hatte. Bestrafungen mitanzu-sehen, machte dem König keine Freude. Lieber beschäftigte er sich mit den schönen Dingen des Lebens, vor allem mit den Wissenschaften. Nicht umsonst hatte man ihm den Beinamen Beauclerc - der Gelehrte - gegeben. Doch was sein musste, musste sein, und wenn er ein Urteil gesprochen hatte, war er auch anwesend, wenn es vollstreckt wurde.

Hinter dem König schritt Hugh de Clare mit zerknirschter Miene einher. Er befehligte die Leibwache Henrys und hatte den jungen Mann, der jetzt verstümmelt werden sollte, vor einiger Zeit selbst ausgesucht und einer intensiven Ausbildung unterzogen. Bisher hatte sich der Bursche nichts zu Schulden kommen lassen - und nun das. Sein Sergeant hatte ausgesagt, dass er von ihm angegriffen worden war. Ein unverzeih-liches Vergehen, das auch mit dem Tode geahndet werden konnte. Kein Vorgesetzter durfte etwas Derartiges dulden und so musste hier, auch wenn es de Clare bitter ankam, ein Exempel statuiert werden.

Der König nahm auf einem gepolsterten Stuhl auf der Empore neben der Richtstätte Platz und wollte Matilda auf seinen Schoß heben, aber die wehrte sich und gab ihrem Vater zu verstehen, dass sie lieber stehen bleiben wollte. Mit ihren acht Jahren hatte sie durchaus schon ihren eigenen Kopf. Das rotblonde, lockige Haar quoll unter der Haube hervor, die bei ihr nie richtig sitzen wollte. Es rahmte ein ausgesprochen hübsches Kindergesicht ein, das nur seine Anmut verlor, wenn sich Zornesfalten auf ihrer Stirn bildeten. Und das kam nicht gerade selten vor. Schon jetzt waren ihre Wutausbrüche unter der Dienerschaft gefürchtet und nicht selten wurde sie trotz ihrer Jugend eher mit einer fauchenden Löwin als mit einem sanften Kätzchen verglichen.

Henry I. gab ein Zeichen und aus einem der Verliese wurde der Delinquent herangeführt. Zwei kräftige Männer an jeder Seite hatten ihn fest gepackt und ein weiterer ging voraus und hielt den Strick, mit dem er gebunden war. Trotzdem wehrte sich der Verurteilte nach Kräften und machte es seinen Henkersknechten keineswegs leicht. Allen, die es sahen, war schnell klar: Hier ergab sich einer nicht gottergeben in sein Schicksal.

Der junge Bursche zählte vielleicht gerade einmal achtzehn Jahre und war trotzdem schon ein Hüne. Genau nach solchen Soldaten hielt Hugh de Clare für die Leibwache des Königs ständig Ausschau. Sie mussten bereit sein, den Herrscher mit ihrem Leib bis zum Tode zu verteidigen, kämpfen können wie ein Rudel hungriger Wölfe, und dabei die Beob-achtungsgabe und Reaktionsschnelligkeit eines Luchses besitzen, um Gefahren und Angriffe rechtzeitig zu erkennen.

Genauso ein Mann war Robert Fitzooth bisher gewesen und hatte zu großen Hoffnungen Anlass gegeben. Und nun sollten ihm die Hand abgehackt, er aus der Wache verjagt und als Krüppel ins Elend gestoßen werden. Die ganze harte und umfangreiche Ausbildung der letzten Jahre wurde damit auf einen Schlag zunichte gemacht.

»Was für eine Vergeudung«, dachte Hugh de Clare bei sich. Hätte dieser dämliche Sergeant nicht sein Maul halten können? Es gab schließ-lich andere Möglichkeiten, einen aufmüpfigen Soldaten zu züchtigen. Aber er hatte sich ja wie eine Heulsuse gleich bei erster Gelegenheit beim König beschweren müssen! Irgendwann würde er sich diese Memme vorknöpfen, schwor sich der Hauptmann.

Die drei Büttel hatten Robert Fitzooth die Treppe zur Richtstätte mehr hinaufgeschoben, als dass er sie gegangen wäre. Jetzt zwangen sie ihn mit brutalen Stößen auf die Knie und rissen mit dem Strick seinen Arm nach vorn, sodass die Hand auf dem Hauklotz lag. Immer noch wehrte sich der Delinquent verzweifelt, als eine helle Stimme die bedrückende Stille durchdrang.

»Was geschieht denn da mit Robert?«, erkundigte sich die kleine Prinzessin. »Tut ihm bitte nicht weh. Er hat versprochen, mir einen neuen Löwen zu schnitzen, weil dieser dumme Mann dort mein Spiel-zeug zerbrochen hat.«

»Wovon sprichst du eigentlich, Kind?« Henry runzelte die Stirn. »Dieser Soldat wird bestimmt nichts mehr schnitzen. Es sei denn, er ist Linkshänder. Und wen meinst du eigentlich mit dem „dummen Mann“?«

»Na, den Sergeanten dort, der mir meinen Löwen weggenommen hat.« Matilda zeigte auf einen der Männer nahe des Schafotts. Dann kramte sie in ihrer Gürteltasche und holte mehrere Teile eines hölzernen Löwen hervor. Sie streckte sie ihrem Vater anklagend entgegen, der sie eingehend musterte. Obwohl zerbrochen, konnte man doch erkennen, was für eine kunstvolle Arbeit es war, dem Wappentier nachempfunden, das er selbst auf der Brust trug.

Wenn man die Teile zusammenfügte, schien der Löwe dahin-zuschreiten. Die Vorderpranken waren ausgestreckt und sogar die Krallen zu sehen. Die Hinterbeine hatte der Schnitzer unter den Leib gesetzt, sodass das Tier auf ihnen stehen konnte. Selbst der Schwanz war sorgsam gearbeitet und schien über dem Rücken des Löwen die Luft zu peitschen, ganz so wie auf dem Wappenrock des Königs. Allerdings fehlte das Stück mit der Quaste und auch ansonsten war das Tier unrett-bar zerstört. 

»Wo hast du den denn her?«, fragte Henry, der die Arbeit fachmän-nisch begutachtete.

Matilda rollte mit den Augen. Begriff ihr Vater denn heute gar nichts?

»Robert hat ihn mir geschnitzt, wenn er bei mir Wache hielt. Das habe ich doch schon gesagt. Ist er nicht schön? Fast war er fertig, da kommt dieser Sergeant und nimmt ihn Robert weg. Jetzt ist er kaputt, und ich will einen Neuen!«

»Warum hat er ihn denn weggenommen? Weil Robert seine Wache vernachlässigt hat?« Henry sprach mit seiner Tochter wie mit einer Erwachsenen. Das hatte er schon immer getan und sich so manches anregende Gespräch daraus ergeben.

»Nein, sondern weil wir keine Löwen, sondern Schakale wären, hat der Sergeant gesagt«, entfuhr es der kleinen Prinzessin wut-schnaubend. »Bestenfalls reißende Wölfe. Dabei sind doch unsere Wappentiere in der Normandie Leoparden und in England edle Löwen! Oder etwa nicht?«

»Das hat er wirklich gesagt?« Henry konnte es nicht fassen. Wahr-scheinlich hatte der Sergeant die Auffassungsgabe des Kindes unter-schätzt, sonst hätte er wohl kaum in ihrer Gegenwart solche furchtbaren Beleidigungen ausgesprochen.

»Ja«, Matilda nickte eifrig, sodass ihre Locken auf und ab wippten, »und als Robert ihm den Löwen wieder wegnehmen wollte, hat er ihn nicht hergegeben. Da haben sie miteinander gerungen, und dabei ist er zerbrochen.«

In diesem Moment setzte Trommelwirbel ein. Wenn er verstummte, würde das Henkersbeil herabsausen und den Verurteilten für alle Zeiten verstümmeln. Mit einer herrischen Hand-bewegung unterbrach Henry den Ablauf des Geschehens.

»Hierher zu mir, Sergeant! Auf der Stelle!«, schallte die Stimme des Königs über den Platz. Der Gerufene eilte, so schnell ihn seine Füße trugen, zu dem Podest und fiel vor seinem Herrscher auf die Knie.

»Ist das wahr? Habt Ihr uns tatsächlich ein Geschlecht von Schakalen geheißen?«, fuhr Henry den vor Angst schlotternden Mann an.

»Nei…, nein, Sire«, stotterte dieser voller Panik. »Das muss Eure Tochter falsch verstanden haben. Niemals würde ich so etwas wagen!«

»Das glaube ich dir aufs Wort, du Wicht, dass du dich das nicht trauen würdest, wäre ich in der Nähe.« Henry wusste wohl, dass seine Stellung als König von England keinesfalls gesichert war. Erst sein Vater, Wilhelm der Eroberer, von manchen auch Wilhelm der Bastard genannt, war von der Normandie aus über den Kanal gekommen und hatte das Land unterworfen. Und obwohl er sich bemühte, im Gegensatz zu diesem und seinem älteren Bruder Rufus, der vor ihm die Krone getragen hatte, gerecht zu herrschen, war ihm keineswegs jeder im Reich wohl-gesonnen. Vor allem, dass seine Frau aus dem alten, angelsächsischen Königsgeschlecht stammte und er Normannen und Engländer gleich behandelte, nahmen ihm viele übel, die hier im Land auf reiche Beute gehofft hatten.

»Bringt den Gefangenen zu mir«, wies der König die Büttel an, die sich beeilten, dem Befehl Folge zu leisten. Und so kam der Verurteilte schneller von der Richtstätte wieder hinunter, als zuvor hinauf, und fand sich wenige Augenblicke später zu Füßen des Königs auf den Knien neben seinem Sergeanten wieder.

»Ihr habt also meiner Tochter diesen Löwen geschnitzt? Sagt, wo habt Ihr diese Kunst erlernt?«

»Sire, solange ich zurückdenken kann, sehe ich in jedem Stück Holz etwas, das man daraus gestalten kann. Tiere, Gesichter, Figuren, was auch immer. Es ist eine Gabe, die mir in die Wiege gelegt wurde. Und auf langen, ereignislosen Nachtwachen nehmen die Dinge dann Gestalt an.«

»Er hat mir schon einen ganzen Gutshof mit Pferden, Kühen Schafen und Schweinen geschnitzt«, bestätigte Matilda wichtig. Doch das interes-sierte ihren Vater im Moment weniger.

»Ihr seid doch Angelsachse, richtig?«, wandte er sich erneut an den vor ihm Knienden.

»Jawohl, Sire.«

»Und Ihr Normanne?«, fuhr der König den Sergeanten an. »Wie heißt Ihr eigentlich?«

»Reginald de Bourgois, Sire. Und ja, mein Vater hat Euren Vater über den Kanal begleitet.« Weiter kam er nicht. Henry winkte nur ab und wandte sich wieder an den Soldaten.

»Dann erklärt mir doch einmal, wieso ein Angelsachse mein Wappen-tier schnitzt und es gegen einen Normannen verteidigt?«

Der Sergeant wollte aufbegehren, doch der König verbot ihm mit einer herrischen Geste das Wort.

»Sire, es war ein Geschenk für Eure Tochter. Und die ist wirklich manchmal eine kleine Löwin! Ich habe zwar noch nie einen Schakal gesehen, aber als Kind Wölfe. Und mit denen hat die Prinzessin nun wahrlich gar nichts gemein.«

Das kam so ohne Falsch aus dem jungen Mann heraus, dass Henry geneigt war, es ihm auf der Stelle zu glauben.

»Und wie kommt Ihr dazu, meine Tochter oder gar mich zu beleidigen und unser Wappentier zu zerbrechen?«, fuhr der König den Sergeanten an. »Ich könnte Euch auf der Stelle hängen lassen!«

»Sire, nichts lag mir ferner! Glaubt mir, ich flehe Euch an! Ich wollte den Soldaten nur ermahnen, nicht seine Zeit zu vertrödeln. Schließlich ist es seine Aufgabe, aufmerksam Wache zu halten, und nicht Spielzeug herzustellen. Als ich ihm den Löwen wegnahm, hat er mich angegriffen. Und das habe ich pflichtgemäß zur Meldung gebracht.«

»So, so, pflichtgemäß. Ihr wusstet schon, was dem Mann dann blüht?«

Der Sergeant schluckte betreten und nickte dann. Das hier entwickelte sich auf einmal ganz anders als gedacht. Fast wäre er diesen aufmüpfigen Kerl, der ihm schon lange ein Dorn im Auge war, aber unverständlicher Weise die Gunst des Hauptmanns genoss, losgeworden. Und jetzt musste er sich auf einmal vor dem König rechtfertigen und wurde selbst angeklagt.

»Da wir nicht genau herausfinden können, wer die Wahrheit spricht, lassen wir doch am besten Gott entscheiden«, verkündete Henry sein Urteil. »Ihr beide werdet gegeneinander kämpfen. Und da ihr keine Ritter seid, ohne Waffen. Wer den anderen zuerst am Boden und in einer Lage hat, aus der dieser sich nicht mehr befreien kann, hat gewonnen. Außerdem kann ich so gleich einmal sehen, wie Ihr meine Wachen ausbildet, de Clare.«

Der Hauptmann verbeugte sich leicht und gab dann seine Befehle. Robert Fitzooth wurden die Fesseln abgenommen. Er massierte sofort seine Handgelenke, in die das aufgestaute Blut langsam zurückkehrte. Die Wachen bildeten einen Halbkreis vor dem Podest, in dem der Ringkampf stattfinden sollte. Henry stellte dabei fest, dass die Sympathien der Soldaten offenbar in erster Linie dem Verurteilten galten, was ihn nicht überraschte. Seine Kameraden klopften ihm auf die Schultern und sprachen ihm Mut zu, während der Sergeant allein gelassen wurde und wenig Zu-spruch erhielt.

Reginald de Bourgois war ein großer, kräftiger Mann. Robert Fitzooth überragte ihn zwar noch, war allerdings von schlanker, jugendlicher Gestalt. Gegen den kampferprobten Sergeanten, der wie festgewurzelt auf seinen stämmigen Beinen stand, waren seine Chancen sicherlich nicht gut. Die umstehenden Männer schlossen, wie es der Brauch war, sofort Wetten auf den Ausgang des Kampfes ab. Henry hätte sich am liebsten beteiligt, doch das ging natürlich nicht an. Außerdem wusste er nicht, auf wen er setzen sollte. Seine Sympathie galt seit kurzem dem Soldaten, aber eine echte Chance hatte der wohl gegen den Bullen von Sergeanten nicht. Ganz gleich, selbst wenn der junge Mann den Kampf verlor, wollte Henry ihn begnadigen, das hatte er sich bereits fest vorgenommen. In der Wache konnte er dann natürlich nicht bleiben, doch zumindest blieb ihm die Verstümmlung erspart.

»Und auf wen setzt Ihr, de Clare?«, wandte sich der König flüsternd an seinen Hauptmann.

»Ich wette nicht, Sire. Aber ich glaube, Ihr werdet überrascht sein.«

»Nun, dann bin ich jetzt wirklich gespannt. Komm her, Matilda. Setzt dich auf meine Knie. Einen Ringkampf kannst du dir schon einmal ansehen.«

Henry machte es sich in seinem Stuhl bequem, denn er rechnete mit einer längeren Auseinandersetzung. Dann gab er das erwartete Zeichen - und zwei Augenaufschläge später war der Kampf bereits vorbei.

Der Sergeant hatte breitbeinig Aufstellung genommen und erwartete, dass sein Gegner das Gleiche tat. Man würde sich lang-sam umkreisen, dann versuchen sich an den Kleidern zu packen und miteinander ringen, bis einer den anderen zu Boden werfen konnte. Wer letztendlich unterliegen würde, stand für ihn von vornherein fest, obwohl er seinen Kontrahenten keineswegs unterschätzte.

Doch Robert Fitzooth tat seinem Vorgesetzten nicht den Gefallen, nach dessen Regeln zu spielen. Als der König die Hand senkte, sprang er mit einem Satz und abgewinkeltem Oberkörper blitzschnell nach vorn und rammte dem Sergeanten seinen Kopf mit aller Macht in den Unterleib. Gleichzeitig packte er ihn mit beiden Händen an den Hüften, hob in empor und schmetterte ihn zu Boden. Dann hechtete er sich auf seinen um Luft ringenden Gegner, umschloss mit seinem linken Arm dessen Kehle und packte gleichzeitig den rechten Arm des Untenlie-genden. Er verdrehte ihn so weit nach oben, dass seine linke Hand das rechte Handgelenk des Sergeanten greifen konnte. Der schrie gellend vor Schmerz auf und gleich darauf noch ein zweites Mal, als Robert Fitzooth ihn jetzt mit der freigewordenen Hand an den Haaren packte und seinen Kopf nach hinten riss.

Der Kampf war vorbei, bevor er überhaupt richtig begonnen hatte. Würde Reginald de Bourgois sich in dieser Lage zur Wehr setzen, war das Geringste, was ihm passieren konnte, eine ausgerenkte Schulter. Vielleicht brach aber auch sein Genick oder er erstickte in der Umklam-merung. Wer konnte das schon sagen?

»Beim Heiligen Eduard, de Clare! Wo habt Ihr den Burschen denn aufgetrieben? Das ist ja unglaublich, mit welcher Geschwindigkeit der sich bewegt! Führt er seine Waffen ebenso?«

»Hättet Ihr Schwerter befohlen, Sire, wäre der Sergeant jetzt sicherlich tot. Ich habe den Jungen eines Tages in London entdeckt, da war er noch ein Knabe. Drei viel größere und ältere Kerle hatten versucht, ihm einen Kanten Brot wegzunehmen. Das haben sie bitter bereut. Er ist Waise, seine Eltern sind bei der großen Hungersnot umgekommen. Er selbst wäre wohl entweder einmal als Dieb gehängt oder der Anführer aller Diebe geworden. Ich fand, in Eurer Wache wäre er nützlicher.«

»Da könnt Ihr durchaus Recht haben, de Clare. Und ich weiß auch schon, wo er wahrscheinlich am besten aufgehoben ist«, schmunzelte der König in sich hinein.

»Lasst den Mann los, Fitzooth«, befahl er dann. »Es besteht wahrlich kein Zweifel an Gottes Willen.« Und an seine Tochter gewandt fragte er dann mit einem Lächeln in den Augen: »Was meinst du, Matilda, soll dich Robert in deine neue Heimat geleiten? Als dein persönlicher Leib-wächter, sozusagen?«

Da strahlte die kleine Prinzessin über das ganze Gesicht und ihre feste, wortlose Umarmung war ihrem Vater Antwort und Dank genug.

Henry erhob sich, jetzt wieder ganz König, und tat seinen Willen kund.

»Euch, de Bourgois, scheint das ruhige Leben hier im Tower träge gemacht zu haben. Ich versetze Euch an die Grenze nach Wales, wo Ihr Euch mit den rauen Kriegern herumschlagen könnt. Und wenn es Euch dort nicht gelingt, Eure Kameraden für Euch zu gewinnen, werdet Ihr sicherlich nicht lange am Leben bleiben.«

Erstauntes Raunen begleitete die Worte des Königs und Henry hatte den Eindruck, dass manch einer der Soldaten froh war, den ungeliebten Vorgesetzten loszuwerden.

»Eure Unschuld hingegen sehe ich als erwiesen an, Robert Fitzooth. Aber auch Ihr werdet uns verlassen. Ich vertraue Euch etwas äußerst Wertvolles an - das Leben meiner Tochter. Ihr untersteht ab sofort direkt Hugh de Clare, der sie nach Deutschland begleiten wird, und seid zukünftig Matildas persönlicher Leibwächter. Fühlt Ihr Euch dieser Auf-gabe gewachsen?«

Robert Fitzooth sank auf das linke Knie und führte die rechte Hand zum Herzen.

»Sire, bei meinem Leben, ich werde Eure Tochter wie meinen Augapfel hüten!«

»Ich verlasse mich auf Euch. Doch geschieht ihr ein Leid, wird Euch nichts auf der Welt vor meinem Zorn retten, dessen seid versichert.«

Das glaubte Robert Fitzooth sofort. Dass er England verlassen musste, bedrückte ihn kaum. Matilda war ihm ans Herz gewachsen. Trotz des großen Rangunterschiedes zwischen ihnen sah er in ihr so etwas wie seine gemeinsam mit den Eltern verstorbene kleine Schwester. Wenn er sagte, er würde sein Leben für sie geben, dann war das durchaus ernst gemeint. Vor wenigen Augenblicken noch hatte Robert noch geglaubt, künftig als Krüppel sein weiteres Dasein fristen zu müssen. Jetzt bot ihm der König ein wahrlich unglaubliches Abenteuer an. Er würde fremde Länder sehen, sich immer in der Nähe von Matilda aufhalten und wenn er ihr treu diente, vielleicht sogar eines Tages zum Ritter erhoben werden. Der junge Mann sah seinen weiteren Lebensweg in diesem Moment wie eine mit Rosenblättern bestreute, sonnige und schnurgerade Straße vor sich liegen.

Robert Fitzooth ahnte nicht, wie sehr er sich täuschen sollte.

***

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