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Leseprobe

Prolog  

Aquitanien, April 1199

Scheinbar unendlich hoch wölbte sich die Abteikirche von Fontevrault über den wenigen Menschen, die sich in ihr fast verloren.
Nahe des Haupttores hatte ein Trupp Soldaten unter dem Befehl des Söldnerhauptmanns Mercadier Aufstellung genommen.

In der Mitte des Hauptschiffes stand eine Frau in eher schlichter Kleidung, sehr aufrecht und gerade, trotz ihres hohen Alters. Eleonore, Herzogin von Aquitanien, ehemalige Königin von Frankreich und England, Mutter von zehn Kindern, davon zwei Königen, war immerhin siebenundsiebzig Jahre alt, was man ihr aber weiß Gott nicht ansah. Selbst mehr als fünfzehn Jahre Haft in zugigen Burgen hatten ihr kaum etwas anhaben können. Noch jetzt konnte jeder erkennen, was für eine überaus schöne Frau sie in ihrer Jugend gewesen war.
Das Leben hatte natürlich seine Spuren hinterlassen, doch nach außen hin ließ sie sich wie schon so oft nicht im Geringsten anmerken, was in ihrem Inneren vorging. Nur wer sie genau kannte, sah, wie wachsbleich und angegriffen sie war.

Ein paar Schritte vor ihr stand ein Mann mittleren Alters in leichter Rüstung mit gesenktem Kopf, schwer auf sein Schwert gestützt. Er hätte nicht gewusst, wie er sonst überhaupt aufrecht hätte stehen sollen.

Ein Lehnsmann war zu seinem König gekommen – doch sein König war tot.

Robert von Loxley, Earl von Huntingdon, früher auch Robin Hood genannt, stand vor dem aufgebahrten Leichnam Richard I., König von England, der Welt als Löwenherz bekannt. Bald würde er zu Füßen seines Vaters, den er zu Lebzeiten mit Inbrunst bekämpft hatte, in dem Sarkophag ruhen, an dem bis vor kurzem die Steinmetze noch gearbeitet hatten. Auf dem Deckel des steinernen Sarges war seine Gestalt in Lebensgröße nachgebildet worden. Ein steinernes Schwert hatten sie auf seine Brust gelegt, Zeichen des immerwährenden Kampfes, der ihn sein ganzes Leben lang begleitet hatte.

Robin hatte einmal gegen und dann unzählige Male mit und für Richard gekämpft. Der König hatte ihm die Ehe mit seiner geliebten Marian ermöglicht, ihn zum Ritter geschlagen und zum Earl von Huntingdon und Mitglied des Kronrates ernannt, ihn, den Sohn eines Freisassen aus dem winzigen Loxley und ehemaligen Geächteten!

Oft waren sie aneinander geraten und vor fünf Jahren nicht gerade in Eintracht voneinander geschieden, doch als der sterbende König rief, gab es für Robin kein Halten.

Aber der Weg für einen Boten von der Loire nach Huntingdon war kein kurzer und leichter, und so konnte er nur noch um seinen toten König trauern.

In vielen Schlachten war Robert von Loxley Richards linker Schildarm gewesen – einen rechten hatte Löwenherz nie gebraucht – und nun war sein Kampfgefährte so sinnlos gestorben.

Eine unbedeutende Belagerung, Richards typische Sorglosigkeit, ein fast kraftloser Armbrustbolzen, der gerade noch die ungeschützte Halsbeuge traf, und einsetzender Wundbrand hatten den König das Leben gekostet.

Jetzt lag er da, einbalsamiert, das Herz entnommen und in die Kathedrale von Rouen gesandt, und sah so gelassen aus, als hätte er endlich Ruhe und Frieden gefunden.

In einer letzten, großherzigen Geste hatte er dem Schützen Pierre Basile vergeben und ihn zum Ritter geschlagen, was aber Mercadier nach Richards Tod nicht daran gehindert hatte, den Mann lebendig zu häuten. Robin hatte den Söldnerführer noch nie gemocht!

Es war völlig still in der großen Kirche, und nur so konnte der Ritter die leisen Worte von Richards Mutter hören, die hier ihren Lieblingssohn begraben musste:

„Wärt Ihr an seiner Seite gewesen, Robin, dann wäre das nicht passiert.“

Es war kein Vorwurf in der Stimme zu hören, es war eine reine Feststellung, aber er wusste, sie hatte recht. Nie würde er die Schuld los werden, die auf seinen Schultern lastete und ihn schier zu erdrücken schien.

Auf ihn hatte der König gehört, ihm hatte er vertraut, da sein Mut, seine Tapferkeit und seine Treue nie in Frage gestellt worden waren. Er hatte den Jähzorn und die gelegentlichen Wutausbrüche des Königs als einziger in dessen Umgebung einfach ignoriert, was Richard zwar meist zuerst noch mehr aufbrachte, ihn dann aber auch schnell wieder versöhnlich stimmte.

Denn nachtragend war sein Lehnsherr nie gewesen, und dass er sich auf Robin wie auf keinen Zweiten jederzeit verlassen konnte, das wusste er auch.

Hätte er sich nicht geweigert, Richard nach dem Kreuzzug auch noch auf seinen Kriegen in Frankreich zu begleiten, würde der König sicher noch leben. Denn nie, niemals hätte er, Robert von Loxley, es zugelassen, dass sich Löwenherz allein und ohne Rüstung der Festung Chalus näherte, von wo ihn dann der tödliche Schuss traf.

Ob auf Zypern, vor Akkon oder in Wien, der Leichtsinn Richards war sprichwörtlich. Er brauchte dringend jemanden an seiner Seite, der ihn vor sich selbst schützte.

Vor zehn Jahren hatte Robin diese Aufgabe übernommen, aber nach Frankreich war er seinem König nicht gefolgt.

Er, Robert von Loxley, war Engländer mit jeder Faser seines Herzens und hatte gehofft, dass Richard wie sein Vater Henry wenigstens einen Teil seines Lebens auf seiner Insel verbringen würde. Aber mehr als sechs Monate in zehn Jahren Herrschaft waren es nicht geworden.

Und dabei hatte doch alles so verheißungsvoll angefangen, in jenem heißen Sommer anno 1189 im Wald von Sherwood...

    1. Kapitel

     Sherwood Forest – Sommer 1189

Der Wald von Sherwood wölbte sich wie eine Kathedrale nach oben zum Himmel und die Bäume ließen nur wenige Sonnenstrahlen durch ihre Blätter, die dann goldene Kringel in Unterholz, Gras und Farn zauberten. Trotzdem spürte Robin die Hitze des Augusttages fast wie einen körperlichen Schmerz unter seinem grünen Wams, als er dem Ruf des Jagdhorns folgend durch den Wald eilte.

Er hatte die Mittagszeit bei Marian und ihrem Vater verbracht, deren Rittergut direkt an den Sherwood grenzte, und nach einem recht üppigen Mahl noch etwas Ruhe in den Armen seiner vor Gott, wenn auch nicht vor der Kirche und dem Gesetz, angetrauten Frau genossen.

Dann schallte der dumpfe Ton aus Little Johns Jagdhorn durch die Stille, und für alle Waldmänner gab es in diesem Fall nur eins, sofort dem Ruf zu folgen.

Fast hätte Robin den Ritter übersehen, der wie eine Statue völlig unbeweglich auf seinem Pferd mitten auf dem Weg nach Nottingham stand, voll gerüstet in Kettenhemd, Brustpanzer, Helm und mit Schild, Schwert und Lanze bewaffnet. Hätte das gewaltige Schlachtross nicht warnend geschnaubt, wäre der in Gedanken noch bei Marian weilende Robin wahrscheinlich mit dieser riesigen, eisernen Gestalt zusammengestoßen.

Doch das Leben im Wald hatte über die Jahre alle seine Sinne geschärft. Blitzschnell hatte Robin Hood einen Pfeil auf der Sehne seines Bogens und donnerte dem Ritter ein: „Halt“ entgegen, was irgendwie unpassend war, da dieser ja sowieso stand.

„Was wollt ihr denn mit dem Stecken und dem Stäbchen ausrichten?“, fragte der Ritter eher amüsiert und etwas überrascht, wobei seine Stimme durch das Helmvisier dumpf und grummelnd klang.

„Ihr seid in unserem Wald und auf unserem Weg und jeder, der hier durchkommt, zahlt uns ein Wegegeld“, kam prompt die Antwort, die den eisernen Mann etwas verblüffte.

„Ich war bis jetzt der Meinung, das ist der Wald des Königs, und des Königs Wege sind in England frei“, gab er zurück.

„Mag schon sein, dass das woanders so ist“, konterte Robin. „Aber erstens ist der König tot, und zweitens müssen wir das Unheil, das er mit seinen ewigen Kriegen angerichtet hat, ja irgendwie ausgleichen. Deshalb nehmen wir von denen, die es haben, und geben es denen, die es brauchen. Wenn ihr hier durchwollt, kostet es euch eine Silbermark – und wenn nicht, dann auch.“

Dem Ritter, den am Anfang die Situation eher belustigt hatte, wurde es langsam zu bunt.

„Gib den Weg frei, Bürschchen, sonst nagle ich dich an den nächsten Baum“, knurrte er und legte die Lanze ein.

Plötzlich spürte er einen harten Schlag gegen seinen Schild. Als er herunter sah, steckte in dem dicken Eichenholz ein Pfeil. Und zu seiner größten Überraschung schaute dessen Spitze auf der Innenseite des Schildes nur wenig über seinem linken Arm heraus.

Er, der in unzähligen Gefechten unbesiegt geblieben war und als Meister der Kriegskunst galt, hatte noch nie eine Waffe mit einer derartigen Durchschlagskraft erlebt.

Als er aufblickte, schien sich an der Situation von eben nichts geändert zu haben. Der Mann im grünen Wams stand mit gespanntem Bogen scheinbar unbewegt vor ihm.

„Der nächste Pfeil geht in den Schildarm. Und wenn das nicht reicht, der dritte durch den Helm. Übrigens, ich habe es mir überlegt: zwei Silbermark sind wohl angemessener für so einen hohen Herren“, hörte er die Gestalt vor sich sagen.

Das war ein stolzer Preis. Für drei Silbermark bekam man schon ein gutes Pferd.

Der Ritter war nicht gerade mit dem ausgeglichensten Temperament versehen. Wutschnaubend senkte er die Lanze, gab seinem Hengst die Sporen und jagte auf Robin Hood zu.

„Verdammt sollt ihr sein für das, was ich jetzt tun muss!“, knurrte Robin und ließ den Pfeil von der Sehne, allerdings nur mit einem Bruchteil der Zugkraft, die er beim ersten Schuss aufgewendet hatte. Das Geschoss traf das heranstürmende Schlachtross genau zwischen Brustbein und Schulterblatt in den starken Halsmuskel. Wie von einem gewaltigen Hammer getroffen knickte der Hengst abrupt  in der Vorhand ein. Der Ritter wurde wie ein Stein vom Katapult aus dem Sattel geschleudert und landete unsanft auf dem zum Glück recht weichen Waldboden im Moos.

Robin eilte an ihm vorbei zu dem Pferd, das sich wütend schnaubend und beleidigt wiehernd wieder aufgerappelt hatte.

„Ist schon gut, mein Großer!“, sprach er beruhigend auf den Hengst ein und griff nach den Zügeln. Eigentlich wollte das Streitross steigen, überlegte es sich dann aber anders und sah nur mit rollenden Augen auf den Fremden herab.

Robin zögerte nicht lange. Das Geschoss hatte dort getroffen, wo er es hatte hinhaben wollen und steckte nicht tief im Fleisch. Mit einem schnellen Ruck zog er die widerhakenlose Spitze des Jagdpfeils heraus und sah beruhigt, dass die Wunde nur wenig blutete und er kein großes Blutgefäß verletzt hatte.

Das war dem Hengst nun aber doch zuviel. Wütend stieg er kerzengerade empor, riss dem Mann, der ihm das zugefügt hatte, die Zügel aus der Hand, machte auf der Hinterhand kehrt und galoppierte den Weg, auf dem er gekommen war, zurück. Sollten die Menschen doch sehen, wie sie fertig würden!

Robin hörte hinter sich ein Zischen und spürte einen Windhauch. Ohne zu zögern ließ er sich fallen und rollte über die rechte Schulter ab. Der Ritter war nach seinem Sturz wieder auf die Beine gekommen, was ihm in der schweren Rüstung nicht ganz leicht gefallen war, hatte sein Schwert gezogen und mit einem gewaltigen Hieb versucht, seinen Gegner zu erschlagen. Dass er dabei aber nur die würzige Luft von Sherwood zerteilte, machte ihn um so wütender, wenn das überhaupt noch möglich war.

Blitzschnell war Robin wieder auf den Füßen, kam hinter seinem Gegner zu stehen und hatte sein eigenes Schwert in der Hand. Den Ritter hatte die Wucht des Hiebes, ohne auf Widerstand zu treffen, nach vorn gezogen. Robin schlug mit der flachen Klinge, aber aller Kraft auf das ihm ungeschützt dargebotene Hinterteil, und sein Gegner ging das zweite Mal in Folge zu Boden.

„Das war dafür, dass ich euer Pferd verletzen musste!“, brüllte er den Mann zu seinen Füßen an. „Wer so ein edles Tier einer sinnlosen Gefahr aussetzt, hat es gar nicht verdient!“

Jetzt war der Ritter wirklich verblüfft. Der Fremde nahm ihm nicht übel, dass er ihn hatte töten wollen. Statt dessen beschimpfte er ihn, weil er sein Pferd einer Verletzung ausgesetzt hatte. Aber sei es wie es sei, das hier musste ein Ende haben. Diese Demütigung ertrug er nicht länger. Mit einer gewaltigen Kraftanstrengung sprang er regelrecht auf die Beine und fuhr mit erhobenem Schwert herum. Aber da war niemand, und ehe er sich versah, spürte er schon wieder einen Hieb auf seinem Allerwertesten, der ihn in die Knie zwang.

„Seid froh, dass ich bester Laune bin und das Wetter einfach zu schön zum Töten ist“, hörte er den Fremden hinter sich sagen. „Das wäre jetzt genau die richtige Stellung, um euch den Kopf vor die Füße zu legen.“

„Ruhig bleiben, Richard“, sagte der Ritter innerlich zu sich selbst. „Du wirst dich doch hier nicht im Wald von einem Wegelagerer umbringen lassen.“

Da er nicht den Eindruck hatte, dass ihn der Grüngewandete von hinten erschlagen würde, ließ er sich diesmal mit dem Aufstehen etwas mehr Zeit. Er zog den Arm aus den Schildschlaufen und nahm den Helm ab. Dann erhob er sich langsam und drehte sich um.

Robin sah erst jetzt genau, mit was für einem Hünen er es zu tun hatte.

„Mein Gott!“, dachte er. „Noch ein paar Fingerbreiten mehr, und er ist so groß wie Little John.“

Ungern erinnerte er sich an sein erstes Zusammentreffen mit dem ehemaligen Anführer der Geächteten, seinem jetzigen Freund, und die Tracht Prügel, die er dabei bezogen hatte.

Das durfte sich hier und mit Schwertern nicht wiederholen.

Die beiden Männer standen sich in gebührendem Abstand gegenüber, wachsam und kampfbereit.

„Wer seid ihr?“, fragte der Ritter mit befehlsgewohnter Stimme, und seine blaugrauen Augen blitzten.

„Robert von Loxley, man nennt mich aber auch Robin Hood“, gab sein Gegner Antwort. „Und mit wem habe ich die Ehre?“

„Richard von Oxford“, kam die Antwort. „Auf dem Weg zur Krönung des neuen Königs.“

„Und ganz allein unterwegs, ohne Knappen und Gefolge?“

„Meine Gefährten warten vor dem Wald. Ich wollte doch mal sehen, ob der Sherwood wirklich so gefährlich ist, wie man sich erzählt.“

„Aha“, dachte Robin. „Das war es, was Johns Jagdhorn hatte verkünden wollen. Reiche Beute vor den Toren des Waldes.“ Laut fragte er: „Und wie soll das jetzt hier weiter gehen? Zahlt ihr euren Wegezoll, oder muss ich euch weiter den Hintern versohlen?“

„Ich glaube kaum, dass euch das noch mal gelingt. Eher hacke ich euch in Stücke“, knurrte der Ritter mit vor Wut rot angelaufenem Gesicht und führte schon den ersten Hieb gegen Robin. Aber der war auf der Hut, und wenn der Gepanzerte ohne Schild und Helm auch etwas beweglicher war, so fiel es ihm doch überhaupt nicht schwer, dem Schwert des Ritters mit Leichtigkeit auszuweichen. Dieser spürte allerdings einen stechenden Schmerz in der rechten Achselhöhle, der es ihm schwarz vor den Augen werden ließ.

„Halt!“, rief Robin ihn an. „Ich kämpfe nicht gegen einen Verwundeten. Ihr blutet ja wie ein abgestochenes Schwein.“

Der Ritter merkte jetzt auch, wie ihm das Blut an der rechten Seite und am Arm herunter lief. Irgendwie musste er sich bei dem Sturz verletzt haben, und das konnte er nun im Moment gar nicht brauchen.

„Wenn ihr mir versichert, mich nicht gleich wieder umbringen zu wollen, sehe ich mir eure Verletzung einmal an. Ich gebe euch mein Wort, euch währenddessen nichts zu tun“, versprach Robin.

„Das soll ich einem Wegelagerer glauben?“, fragte der Ritter skeptisch.

„Darf ich euch daran erinnern, dass ihr es wart, der mich zweimal töten wollte, obwohl ich die besseren Gelegenheiten dafür hatte.“ Robin steckte sein Schwert vor sich in den Boden, blieb aber wachsam.

Richard von Oxford war das nicht ganz geheuer, aber auch er ließ sein Schwert fallen und spürte dabei wieder einen stechenden Schmerz in der rechten Seite.

„Lasst mal sehen“, meinte Robin und trat heran.

Der Ritter hob vorsichtig und mit zusammengebissenen Zähnen den rechten Arm.

„Oh ha“, knurrte Robin. „Das sieht aber gar nicht gut aus. Ihr habt euch bei eurem Sturz wohl das abgebrochene Lanzenende in die Achselhöhle gerammt. Ein großer Splitter ist durch das Kettenhemd gedrungen und steckt noch im Fleisch. Den bekomme ich hier nicht heraus gezogen.“

„Bei Gottes Beinen!“, fluchte der Ritter. „Das hat mir gerade noch gefehlt. Wenn ich euch eure zwei Silbermark gebe, bewahrt ihr dann Stillschweigen und bringt mich zu meinen Begleitern zurück? Dann will ich den Überfall für dieses Mal vergessen.“

„Das braucht ihr nicht, denn es ist bekannt, dass jeder, der durch den Sherwood will, uns Wegezoll zu entrichten hat. Wir können unseren kleinen Streit auch gern zu Ende austragen, wenn eure Verletzung ausgeheilt ist.“

Richtige Lust hatte Robin darauf allerdings nicht. Der Ritter war fast einen Kopf größer als er und sicherlich ein erfahrener Kämpfer.

„Was sagt eigentlich der Sheriff von Nottingham zu eurem Treiben hier?“, erkundigte sich Richard. „Es ist schließlich seine Aufgabe, für die Sicherheit in des Königs Landen zu sorgen.“

„Ralf de Lacy?“, fragte Robin. „Der weiß genau, setzt er auch nur einen Fuß in den Sherwood oder kommt er irgendwie in die Reichweite meines Bogens, ist er ein toter Mann.“ Selten hatte der Ritter soviel Hass in der Stimme eines Mannes gehört.

„Meint ihr wirklich, dass ihr mit eurem Pfeil durch eine Rüstung dringt“ erkundigte er sich hochinteressiert. Das war etwas, was ihn wirklich bewegte. Natürlich kannte er Bogen und Armbrust, aber dagegen schützten sich die Ritter mit Schild, Helm und Panzer. Gab es plötzlich Waffen, die da durchdrangen, konnte es ganz ungemütlich werden.

Robin trat ein paar Schritte zurück, nahm seinen Bogen und einen Pfeil auf, spannte ihn, soweit es seine Armlänge erlaubte und ließ das Geschoss von der Sehne. Es gab einen kurzen, hellen Klang, als es sich durch den Helm des Ritters bohrte.

„Bei allen Heiligen!“, entfuhr es Richard, der seinen Helm vorsichtig vom Waldboden aufnahm. „Was ist denn das für ein Teufelsding. Hätte ich den Helm aufgehabt, steckte mir der Pfeil jetzt mitten im Hirn!“

„Sag’ ich doch“, meinte Robin trocken. „Nie den Gegner unterschätzen, nur weil man seine Waffen nicht kennt. Es könnte böse ausgehen.“

„Wo gibt es solche Bögen?“, hakte der Ritter nach. „Ich würde euch viel Geld dafür zahlen.“

Robin dachte einen Moment nach.

„Hört zu, ich mache euch einen Vorschlag. Ihr schwört mir bei eurer Ritterehre und allem was euch heilig ist, dass ihr über alles, was ihr demnächst sehen und hören werdet gegen jedermann schweigt, und ich bringe euch zu dem Mann, von dem meine Leute und ich die Bögen haben. Dort können wir vor allem am schnellsten eure Wunde versorgen. Bis zu euren Begleitern ist es mir ehrlich gesagt mit einem Verletzten ein bisschen zu weit.“

„Einverstanden“ stimmte der Ritter sofort zu. „Ich schwöre es euch, und ihr könnt versichert sein, auf mein Wort ist Verlass. Aber mit wem zum Teufel habe ich es überhaupt zu tun?“

„Ihr seid wohl lange nicht in England gewesen, dass ihr nichts von den Geächteten des Sherwood gehört habt?“

„Richtig. Ich bin zwar in England geboren, war aber viele Jahre nur in der Normandie, der Bretagne und Aquitanien unterwegs.“

„Kommt“, meinte Robin. „Ein Stück ist es schon zu gehen. Ich erzähle euch unterwegs, was euch interessiert. Aber vergesst nicht, was ihr geschworen habt. Sonst, und das ist so sicher, wie die Sonne am Abend untergeht, finden wir euch, und an dem Tag fahrt ihr zur Hölle!“

„Keine Sorge, ich habe auf Erden noch viel vor“, antworte der Ritter, schob vorsichtig sein Schwert in die Scheide, warf einen Blick auf Schild und Helm, entschloss sich dann aber, beides einfach liegen zu lassen. „Gehen wir!“

Sie kamen nur langsam voran. In Eisenschuhen läuft es sich nicht besonders gut, die Verletzung machte Richard von Oxford mehr zu schaffen, als er zugeben wollte, und die Sonne brannte noch dazu unbarmherzig vom Himmel.

„ Nun erklärt mir einmal“, begann der Ritter, „wie ein Mann wie ihr im Sherwood zum Wegelagerer wird. Wie ich euch erlebt habe, könntet ihr jederzeit zum Gefolge eines Earl gehören oder es als Soldat des Königs zu etwas bringen?“

„Meine Gefährten und ich leben seit mehreren Jahren im Wald, weil uns keine andere Möglichkeit bleibt. Wir sind Vogelfreie, Geächtete, jeder darf uns töten - wenn er kann. Da drehen wir den Spieß einfach um. Das Land ist durch die vielen Kriege König Henrys völlig ausgeblutet, den Bauern wird der letzte Penny genommen, sie verhungern, wenn man ihnen nicht hilft. Und da das niemand tut, tun wir es eben.“

„Ihr sprecht immer von Wir“, meinte Richard. „Wie viele seid ihr denn?“

„Die Frage geht nun doch etwas weit. Aber de Lacy hat es mit seinem brutalen Vorgehen geschafft, mir so viele Männer zuzuführen, dass er sich nun selbst nicht mehr aus seiner Burg traut.“

„Und die sind alle so bewaffnet wie ihr?“

„Der eine mag eher das Schwert, der andere den Kampfstock, aber mit dem Bogen sind wir alle ziemlich gut.“

„Mein Gott“, dachte der Ritter. „Eine kleine Armee!“

„Machen wir mal eine Pause“, bat er dann und ließ sich auf einem Baumstumpf nieder. „Was heißt denn ziemlich gut? Zeigt mir doch einmal, wie treffsicher ihr auf größere Entfernung seid.“

Zu einer Demonstration seiner Schießkunst war Robin immer bereit. Es war auch nie verkehrt, wenn es sich herumsprach, wozu die Geächteten in der Lage waren.

„Seht ihr die schmale Buche in ungefähr hundert Yards?“

„Ja, aber ein schweres Ziel ist das nun nicht gerade“, gab der Ritter zurück.

„Dann passt mal genau auf.“

Robin spannte den Bogen und ließ den ersten Pfeil von der Sehne schnellen. Kaum steckte dieser im Ziel, folgte schon der zweite – und der spaltete den ersten mittig durch.

„Herr im Himmel“, rief der Ritter mehr als erstaunt aus und lief zu der Buche, seine Verletzung ganz und gar vergessend. „Das habe ich ja in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen! Und ich habe, was Waffen und ihre Handhabung betrifft, wirklich schon einiges erlebt! Wo zum Teufel kommen denn diese Bögen nun her? Die können doch nur in der Hölle hergestellt worden sein!“

„Wenn ihr Wales mit der Hölle gleichsetzt, habt ihr recht“, antwortete Robin. „Der Mann, zu dessen Gut ich euch bringen werde, hat 1182 für König Henry bei  Abergavenny Castle gekämpft. Die Pfeile der Waliser haben die starken, handbreiten Eichenbohlen des Burgtores durchschlagen als König Henrys Ritter hinter die Burgmauern flüchteten. Ich konnte ihm einmal behilflich sein. Dafür hat er mir und meinen Männern hundert solche Bögen geschenkt, die angeblich die Wikinger nach England gebracht haben sollen.“

„Bei Gottes Beinen!“, das war Richards Lieblingsfluch. „Jetzt weiß ich, wieso sich der Sheriff nicht in den Sherwood traut. Mindestens hundert Männer mit solchen Bögen bewaffnet und im Wald versteckt – man bräuchte ja ein Heer, um euch auszuräuchern.“

„Auch ein Heer würde das nicht schaffen, es müsste uns erst einmal finden“, gab Robin selbstbewusst zurück. „Der Sherwood Forest ist groß! Aber ihr wart auf dem Weg nach Nottingham. Seid ihr etwa ein Freund von Ralf de Lacy?“, erkundigte er sich misstrauisch.

„Nein, weiß Gott nicht“ antwortete der Ritter. „Der Sheriff wird sicherlich nicht erfreut sein, mich zu sehen, auch wenn ich ihn wohl werde aufsuchen müssen.“

„Dann denkt daran, was ihr geschworen habt, sonst könnt ihr euer Leben wie de Lacy in Nottingham beenden. Und so schön ist das Nest nun wirklich nicht. Kommt, es ist noch ein Stück!“

Mühsam erhob sich der Ritter. Das Gehen fiel ihm immer schwerer. Robin sah das und zögerte nicht. Er nahm den linken Arm Richards über seine Schulter und stützte den Verletzten. Nach etwa einer Viertelstunde erreichten sie den Waldrand, und vor ihnen lag das Gut von Robins Freund und de facto Schwiegervater.

„Wo bringt ihr mich denn eigentlich hin?“ fragte der Ritter.

„Das ist Fenwick, der Besitz von Sir Richard Leaford. Dort wird man euch helfen und eure Verletzung behandeln.“

„Leaford? Ich kannte einen Sir Walter Leaford, der einmal zum Gefolge von Gottfried von der Bretagne, Gott habe ihn selig, gehört hat. Soweit ich weiß, ist er vor ein oder zwei Jahren in der Normandie gefallen..“

„Das war sein Sohn, der sich seine Rittersporen verdienen wollte und deshalb in den Dienst von König Henrys verstorbenem Sohn getreten ist. Dort ist er dann, wie ihr richtig sagt, tragisch ums Leben gekommen.“

„Dann bin ich in guten Händen, denn Walter Leaford war ein sehr ehrenwerter Mann und ich nehme an, er wird die guten Manieren von seinem Vater geerbt haben.“

„Da habt ihr recht. Ich muss mich dann allerdings so schnell wie möglich um eure Begleitung kümmern. Nicht dass meine Leute sonst ihre Spielchen mit ihnen treiben.“

„Das könnte aber für eure Männer ins Auge gehen. Es sind sehr kampferprobte Ritter, die meine Mutter begleiten.“

„Ihr reist mit eurer Mutter?“, fragte Robin verblüfft.

„Haltet sie mal davon ab“, knurrte Richard. „Sie war mehr als 15 Jahre eingesperrt und vorher in der ganzen Welt unterwegs. Sie kennt Paris, Konstantinopel und Jerusalem und jetzt will sie nach vielen Jahren hinter Burgmauern nur noch Licht und Sonne sehen.“

                                                                                       ***

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