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Prolog - Paris, April 1216

König Philipp II. von Frankreich, der seit seinem Sieg bei Bouvines über das Heer des deutschen Kaisers Otto IV. und der Niederlage des englischen Königs John, neuerdings nicht mehr Johann Ohneland sondern immer öfter König Weichschwert genannt, den Beinamen Augustus führte, blickte auf den vor ihm knienden Mann herab. Sollte durch diesen sein größter Traum womöglich tatsächlich wahr werden?

Simon de Montfort führte seit sieben Jahren den Kreuzzug gegen die ketzerischen Katharer, nach ihrem Stammsitz, der Stadt Albi, auch Albigenser genannt, im Süden des Landes an. Nun war er gekommen, um das Herzogtum Narbonne, die Grafschaft Toulouse sowie die Vizegrafschaften Béziers und Carcassonne, die seit Menschengedenken weitgehend unabhängig von der Krone gewesen waren, dem König von Frankreich zu Füßen zu legen. Dafür erhoffte er sich seine Legitimierung als Graf von Toulouse und die Rückgabe der eroberten Gebiete an ihn als Kronlehen. Wahrlich nicht viel, bedachte man, dass Philipp, außer seiner Ritterschaft zu gestatten, sich am Kreuzzug zu beteiligen, keinen Finger gerührt hatte, um ihn dabei zu unterstützen, diese Häretiker und vor allem den sie unterstützenden Adel in Okzitanien, der Provence und dem Languedoc zu unterwerfen. Doch nun war es nahezu vollständig gelungen, die Katharer zu vernichten und die alten Herren zu vertreiben oder gefangen zu nehmen. Graf Raimund VI., der über dieses reiche Land geherrscht hatte, und sein Sohn waren nach England geflohen. Mit den letzten Widerstandsnestern, da war sich der von seiner heiligen Mission überzeugte Kreuzritter sicher, würde man auch bald fertig werden. Da konnte er doch wohl davon ausgehen, dass ihm dieses große Fürstentum, welches im Süden an Aragon, im Osten an das Deutsche Reich und im Westen an Aquitanien grenzte, und das er im zähen Ringen über Jahre erobert hatte, als erbliches Lehen zugesprochen wurde. Noch dazu, wo er sich als Vasall des französischen Königs sah und die Lehnspflicht im Gegensatz zu den Raimundinern durchaus ernst nahm.

Philipp war sich da allerdings nicht so sicher. Machte er womöglich den Bock zum Gärtner, entsprach er dem Verlangen de Montforts? Bisher hatten sich die Grafen von Toulouse jedenfalls immer dem Herrschaftsanspruch der Krone widersetzt. So war Frankreich in der Vergangenheit der direkte Zugang zum Mittelmeer verwehrt und es dadurch vom einträglichen Handel mit den Seerepubliken Venedig, Genua und Pisa nahezu ausgeschlossen gewesen. Selbst für Kreuzzüge ins Heilige Land mussten die Truppen eine Durchmarscherlaubnis entweder des deutschen Kaisers oder der Raimundiner einholen, die einzig von deren guten Willen abhing. Das würde sich natürlich alles ändern, wäre die Grafschaft Toulouse ein Kronlehen und erstreckte sich das Herrschaftsgebiet des französischen Königs zukünftig von der ehemals kleinen Île-de-France bis an die Gestade von Atlantik und Mare Nostrum.

Philipp selbst hatte nach dem Tod von Richard Löwenherz dessen Bruder John weite Teile des ehemaligen, großen angevinischen Reiches abgenommen. Nur ganz im Süden Frankreichs gehörten noch Teile Aquitaniens und die Gascogne zu den Ländereien des englischen Königs. Die Grafschaft Toulouse würde seinen Besitz natürlich wunderbar abrunden und ein Einfallstor in die den Plantagenets verbliebene Provinz abgeben. Obwohl - vielleicht bekam man sie ja ohne Kampf übereignet, denn sein Sohn Louis war gerade dabei, ein Heer für eine Invasion Englands an der Küste zu versammeln. Einige abtrünnige Barone auf der Insel hatten ihn gerufen und ihm Johns Krone angeboten. Er, Philipp, hielt das Unternehmen zwar für wenig aussichtsreich und außerdem hatte der Papst es verboten, doch letztlich konnte man nie wissen, wie ein solches Abenteuer ausging und ob nicht womöglich bald Frankreich und England unter einem Herrscher vereint waren. Die nächste Zeit würde jedenfalls recht kurzweilig werden und der französische König war auf Gottes weisen Ratsschluss wirklich gespannt.

»Seid Ihr bereit, Simon, Herr über Montfort und Earl von Leicester, die durch Euch und Eure Mannen von den abtrünnigen Häretikern, die sich von unserer Heiligen Mutter Kirche abgewandt haben und Irrlehren folgen, eroberten Gebiete der Krone Frankreichs zu übereignen?«

Philipp war sich durchaus bewusst, dass Teile der besetzten Gebiete, wie etwa Carcassonne und Béziers, zur Krone Aragon gehörten und weder er noch Montfort Rechte darauf besaßen. Doch wenn einem diese reichen Ländereien mit ihren wehrhaften Städten auf einem Silbertablett dargereicht wurden, wer konnte da schon widerstehen?

»Das bin ich, mein König. Bereits jetzt gilt in den unterworfenen Provinzen das Recht der Île-de-France. In den Statuten von Pamiers habe ich verfügt, dass nur noch Eure königlichen Erlasse anzuwenden sind und okzitanisches Gesetze für ungültig erklärt. Auf zwanzig Jahre darf kein toulousianischer Ritter Waffen tragen und keine Frau, kein Mädchen von Adel einen Einheimischen heiraten. Ausschließlich Vermählungen mit französischen Edelleuten sind ihnen erlaubt. Das neue Erbrecht wird dafür sorgen, dass bald nur noch Euch lehnspflichtige Adelige über die südlichen Ländereien gebieten und dem Ketzertum dort ein für alle Mal die Grundlage entzogen wird. Die okzitanische Sprache ist verboten worden und es darf in den Kirchen, vor Gericht, bei Amtshandlungen und in Dokumenten nur noch die französische verwendet werden. In Eure Hände lege ich das Schicksal des Landes und seiner Menschen. Wir, die wir vom Heiligen Vater beauftragt wurden, die Ketzer zum einzig wahren Glauben zurückzuführen, werden nicht ruhen, bis auch der Letzte von ihnen bekehrt oder im läuternden Feuer verbrannt ist. Das Land überantworten wir Eurer Gnade und Weisheit und schwören Euch als Eure Vasallen ewige Treue.«

Die Augen des fanatischen Kreuzritters funkelten wie im Fieber. Immer wieder packte ihn nach erfolgreicher Einnahme einer Stadt oder eines festen Platzes der Blutrausch und Tausende und Abertausende waren bereits seinem religiösen Wahn zum Opfer gefallen. Dafür lebte er, das war sein ganzes Streben, und als bestätigter Graf von Toulouse würde er nach der kirchlichen bald auch noch über die weltliche Autorität verfügen, die ihm bisher gefehlt hatte.

Philipp hatte nun keine Zweifel mehr. Wenn ihm die wohlhabenden Provinzen im Süden wie ein reifer Apfel in den Schoß fielen, konnte er seine ganzen Kräfte darauf verwenden, die letzten Ländereien der Plantagenets seinem Reich einzuverleiben, das dann von den Pyrenäen bis zur britischen See, vom Mittelmeer bis nach Flandern reichen würde. Er selbst hatte vor nunmehr sieben Jahren die Aufforderung des Heiligen Vaters, den Kreuzzug gegen die Katharer anzuführen, mit der Begründung abgelehnt, dass er zwei mächtige Löwen an seinen Flanken hatte, die nur darauf warteten, Frankreich zu zerreißen. Er meinte damit damals den deutschen Kaiser Otto und den englischen König Richard. Doch den Ersten hatte er vernichtend geschlagen und Letzterer war zu seiner großen Freude bei einer völlig unsinnigen Belagerung von einem Armbrustbolzen verwundet worden und kurz darauf verstorben. Mit dessen Bruder John hatte er wesentlich weniger Probleme. Es sprach also aus Philipps Sicht eigentlich nichts dagegen, sich nun selbst an dem Kreuzzug zu beteiligen. Aber warum sollte er das tun, wenn er doch die Früchte auch so und ohne Anstrengung ernten konnte?

»Dann legt Eure Hände in die meinen, Simon de Montfort, und nehmt aus ihnen die Grafschaft Toulouse sowie die Vizegrafschaften Béziers und Carcassonne als erbliche Lehen der Krone Frankreichs entgegen«, sagte der französische König zu dem vor ihm Knienden und verschenkte damit Territorien, die ihm gar nicht gehörten. »Des Weiteren gestatten wir Euch, den Titel eines Herzogs von Narbonne zu führen, auch wenn die Stadt weiterhin dem Erzbischof unterstehen soll. In Eurem Kampf gegen die Katharer und andere Feinde werden wir Euch als Euer Lehnsherr von nun an unterstützen, soweit es in unserer Macht steht. Erhebt Euch und gebt mir den Bruderkuss, Graf von Toulouse.«

Unter dem Jubel des versammelten Hofes richtete sich der hagere, asketische Kreuzfahrer auf und küsste den König, wie es der Brauch war, auf den Mund. In dem Moment war er am Ziel seines lebenslangen Hoffens und Sehnens angekommen. Endlich konnte er sich nach allen geltenden Gesetzen als rechtmäßiger Eigentümer der eroberten Gebiete betrachten! Unzählige Menschen hatten er und seine Glaubensbrüder im Namen des Herrn abgeschlachtet, verbrennen lassen, aus ihrer Heimat vertrieben, um es zu erreichen! Der Aufruf von Papst Innozenz zum Kreuzzug gegen die Katharer, die die Autorität des Heiligen Vaters und damit der alleinseligmachenden Heiligen Mutter Kirche in Frage stellten, sonst aber niemandem ein Leid taten, war ein Geschenk Gottes für den verarmten und in England enteigneten Baron gewesen. Wie bei allen Kreuzzügen lockten Beute und Ländereien neben dem versprochenen Sündenablass. Und als er dann noch nach dem Rückzug der ranghöheren Adeligen, die vom Morden und Töten genug hatten, zum Anführer der päpstlich sanktionierten Eroberung Südostfrankreichs gewählt wurde, konnte er sein Glück kaum fassen.

Das Geschlecht der Raimundiner, das dieses Land seit mehr als dreihundertfünfzig Jahren beherrscht hatte, war verjagt, exkommuniziert und enteignet worden, die überlebenden Ketzer zu ihren Glaubensbrüdern und Schwestern nach Aragon und Aquitanien geflohen. War das nicht ein willkommener Anlass, auch dort einzufallen und diesen letzten, verbliebenen Rest des einstmals so mächtigen angevinischen Reiches auf dem Boden Frankreichs zu unterwerfen? Ein solches Unternehmen stand schon seit längerem auf der Agenda Simon de Montforts und einen Teil davon, das Agenais und das Quercy, hatte er seiner Grafschaft bereits einverleibt. Beide Regionen waren Joan von England von ihrem Bruder Richard Löwenherz als Mitgift zugesprochen worden, als sie Raimund VI. von Toulouse ehelichte, und nach ihrem frühen Tod auf ihren gemeinsamen Sohn übergegangen. Aber was scherte das Simon de Montfort? Den Rest der englischen Besitzungen auf dem Kontinent zu erobern, konnte auch nicht weiter schwierig sein, und König Philipp war sicherlich nicht abgeneigt, wenn man ihm die Arbeit abnahm.

Er, der neue Graf von Toulouse, würde beim abendlichen Festmahl gleich einmal mit seinem Lehnsherrn darüber sprechen. In einem, höchstens zwei Jahren, so dachte er, gehörten auch die Ländereien, auf die er jetzt sein Augenmerk richtete, ihm.

Simon de Montfort ahnte nicht, wie sehr er sich täuschen sollte.

                                                                                                                     ***                                                                                                                          

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